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Simulationen erklären den Riss

Ein gesprungenes Glas, ein Riss im Lack, eine abgebrochene Schraube – defekte Gegenstände gehören zu den Ärgernissen des Alltags. Ob und wie ein Material unter bestimmten Bedingungen reißt, hängt davon ab, wie sich der ursprüngliche Defekt entwickelt und ausbreitet. Mit Simulationen, die ein Material in die einzelnen Atome auflösen, lassen sich Risse präzise untersuchen und vorherbestimmen. Wissenschaftler des SFB 716 entwickeln Simulationswerkzeuge, um die Rissausbreitung in typischen Materialien der Elektroindustrie auf atomarer Ebene zu untersuchen.

Ein abbiegender Riss in einem Aluminiumoxid.

Welche mechanische Spannung darf auf einem Mikro-Chip lasten? Welche Beanspruchungen führen zum Riss? Und wie verläuft dieser? Das sind Fragen, die bei der Entwicklung neuer Produkte in der Automobilindustrie, Sensorik, Telekommunikation oder der Unterhaltungselektronik eine bedeutende Rolle spielen. Bruchfestigkeit ist dabei nicht nur ein Qualitätsmerkmal, sondern vor allem eine Sicherheitsanforderung. Um Risse und Brüche in der Simulation am Computer präzise nachzuvollziehen, richtet sich der Blick der Physiker und Materialwissenschaftler im SFB 716 auf das Innere eines Materials – auf die einzelnen Atome. Die Forscher berechnen die  Bahn eines jedes einzelnen Teilchens unter dem Einfluss seiner Nachbarn  und von außen einwirkenden Spannungen, Wärmequellen oder elektrischen Feldern. Dabei können die Forscher den Festkörper virtuell ziehen, pressen, scheren, aufheizen und abkühlen. Auf diese Weise können sie verschiedene bei der späteren Nutzung auftretende Beanspruchungen auf mikroskopischer Ebene untersuchen. „Nur wer ein System im Kleinen und Kleinsten versteht, kann das Große und Ganze erklären“, so Prof. Hans-Rainer Trebin, Leiter des Instituts für Theoretische und Angewandte Physik (ITAP) und Sprecher des SFB 716. „Durch unsere Simulationen lassen sich die Ursprünge von Rissen und deren Ausbreitung grundlegend erklären. Zudem bilden unsere Ergebnisse wiederum die Grundlage für Untersuchungen auf größeren Skalen.“

Im Fokus der Stuttgarter Simulationsexperten stehen Metalloxide. Diese zeichnen sich durch eine besondere Härte und Hitzebeständigkeit aus und haben eine geringe Wärmeleitfähigkeit, was sie zu einem der wichtigsten Werkstoffe in der Mikroelektronik macht. In Computern, Handys, Haushalts- oder Messgeräten profitiert jeder von diesen Vorteilen. All diese Produkte sind enormen Beanspruchungen ausgesetzt – lange Laufzeiten erzeugen hohe Temperaturen, der Einbau einzelner Komponenten in ein Gesamtsystem führt zu mechanische Spannungen. Trotz ihrer Widerstandsfähigkeit können auch Metalloxide langfristig reißen und unbrauchbar werden.

„Geeignete Methoden für Riss-Simulationen auf atomarer Ebene gibt es bisher lediglich für Metalle ohne Ladungen“, erklärt Hans-Rainer Trebin. „Oxide besitzen demgegenüber Teil-Ladungen. Diese in den numerischen Berechnungen zu berücksichtigen, erfordert einen enormen Rechenaufwand. Um möglichst viele Atome über eine längere Zeit beobachten zu können, entwickeln wir neue Algorithmen.“ Die Stuttgarter Physiker arbeiten mit dem Programm IMD (ITAP Molekulardynamik), einer eigens entwickelten Software für atomare Simulationen. Darüber hinaus erzeugen sie die erforderlichen Kraftfelder, um die Realität präzise abzubilden. Auf diese Weise wollen sie hohe Teilchenzahlen in angemessenen Rechenzeiten sowohl auf aktuellen Rechnerstrukturen als auch auf Höchstleistungsrechnern simulieren. Ihre entwickelten Werkzeuge stellen sie Wissenschaftlern und Ingenieuren frei zur Verfügung, so dass auch sie davon profitieren können.


Teilprojekt B.1 | Institut für Theoretische und Angewandte Physik


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